Walter
Rosenthaler
An das
Staatssekretariat im Bundesministerium für
Verkehr, Innovation und Technologie
z.H.: Hrn. Mag. Helmut Kukacka
Radetzkystrasse 2
A-1030 Wien Linz, am 10.08.2003
Offener Brief:
Betreff: Antwort auf Ihr Schreiben vom 9.Juli.2003
Sehr geehrter Herr Mag. Kukacka!
Vorerst
möchte ich mich für Ihr Schreiben bedanken. Ehrlich gesagt habe ich nicht
mit einer Antwort gerechnet.
Für mich ist das ein Zeichen, dass für Sie diese ÖBB-Reform wirklich ein
besonderes, aber auch ein persönliches Anliegen darstellt.
Mag
sein, dass Sie kein Hasser der Firma ÖBB sind, jedenfalls versuchen Sie
etwas, was noch keiner geschafft hat und meines Erachtens fast unmöglich
erscheint, nämlich, betriebswirtschaftliche, verkehrspolitische, sowie
volkswirt-schaftliche Aspekte auf einen Nenner zu bringen.
In einem Sozialstaat wie es Österreich immer war, sollte man jedoch gerade
im öffentlichen Verkehr, nicht auf den sozialpolitischen Aspekt vergessen.
Als
Kenner der ÖBB internen Situation teile ich Ihre Meinung, dass nur eine
radikale Änderung der Strukturen eine positive Wende herbeiführen kann.
Sie begehen jedoch so manchen gravierenden Fehler, weil Sie möglicherweise
falsch beraten werden, bzw. zu sehr von sich selbst überzeugt sind.
Letzteres ist nicht böse gemeint, denn man braucht schon eine große
Portion Selbstvertrauen, wenn man in den Sumpf der ÖBB eindringt und neue
Ideen einbringt. Als unabhängiger Personalvertreter kann ich ein Lied
davon singen.
Jedenfalls tragen Sie Ihr Vorhaben auf dem Rücken des Wichtigsten eines
jeden Betriebes aus, dem Humankapital, den Mitarbeitern der ÖBB und deren
Familien.
Wegen der Verunglimpfung der ÖBB-Bediensteten durch Halbwahrheiten, von
diversen Eigentümervertretern, sowie durch die Presse, wird die
öffentliche Meinung oft zu Unrecht, negativ beeinflusst.
Das geht so weit, dass Eisenbahner von Mitbürgern öffentlich als
Sozial-schmarotzer und arbeitsscheues Gesindel beschimpft werden.
Genau
von diesen Mitarbeitern fordern Sie, dass sie sich an die Spitze der
Reform-bewegung stellen und denen die Füße küssen sollen, von denen sie zu
Unrecht getreten werden?
Angesichts der Entwicklung der letzten Jahre, kann man den Eisenbahnern
schon eine gewisse sado-masochistische Neigung andichten, aber Ihr Wunsch
fällt zumindest unter den gegebenen Voraussetzungen, in den Bereich der
Geschmacklosigkeit.
Herr
Mag. Kukacka, jeder Mitarbeiter wird mit der fristlosen Entlassung
bedroht, so er sich negativ über seinen Betrieb äußert. Warum gilt das
nicht für die Eigentümervertreter, die dadurch dem Unternehmen einen
"Bärendienst" erweisen?
Es würde z.B.: keinem Firmeninhaber, nicht einmal im Traum einfallen, den
eigenen Betrieb in aller Öffentlichkeit zu beschmutzen, außer er will ihn
ruinieren! – Denkpause!
Bezüglich ÖBB-Pensionen, möchte ich einmal weg von den ganzen Zahlen, bei
denen anscheinend so mancher Politiker den Überblick verliert und das
Ganze in eine verständliche Lebenssituation umwandeln.
Angenommen 2 Personen arbeiten in einem Kfz-Betrieb. Beide bekommen zum
Pensionsantritt ein Auto von dieser Firma. Der Firmeninhaber entscheidet
jedoch je nach Abteilung in der sie arbeiten, den Autotyp und die
Ansparvariante.
Person A bekommt ein VW-Golf.
Bedingung: Monatlich 10,25% vom Gehalt behält sich die Firma zurück,
sollte das Auto teurer werden, so werden die Ansparmodalitäten
entsprechend verändert
Person B bekommt ein Mercedes.
Bedingung: Monatlich 10,25% vom Gehalt behält sich die Firma zurück,
zusätzlich weniger Lohn, dafür wird vertraglich 35 Jahre Ansparzeit
vereinbart.
Nach
einigen Jahren bemerkt der Chef, dass auch der Mercedes teurer geworden
sei. Kurzerhand entschließt er sich dazu, den Ansparbeitrag um fast 50% zu
erhöhen und zusätzlich die Laufzeit um 18 Monate zu verlängern. Er fordert
nebenbei nach Beendigung des Sparvertrages, von Person B, lebenslang 4,8%
vom Einkommen. Er ändert einfach einseitig diesen Vertrag.
Weil das so toll geklappt hat, setzt der Chef kurze Zeit später noch eins
drauf. Noch weniger Gehalt, Verlängerung der Ansparzeit auf 42 Jahre und
Erhöhung der obigen 4,8% um ein weiteres %.
Als sich Person B dagegen wehrt, wird er vom Chef massiv als
Privilegienritter beschimpft, er könnte doch auf den VW-Golf wechseln,
wenn ihm der neue Preis für den Mercedes nicht passt. Die bisher
aufgelaufenen Mehrkosten könne er jedoch vergessen, da er ohnehin nie
sinnvoll im Betrieb beschäftigt wurde.
In
einem Rechtsstaat, müssen Verträge immer für beide Seiten gelten und
dürften nur einvernehmlich geändert werden. Andernfalls hätten wir eine "Bananen-republik",
wo nur das Recht des Stärkeren gilt.
Es wurde keiner zur Vertragsunterzeichnung gezwungen. Zusätzlich wurde der
Vertrag vom Chef angeboten. Jetzt schiebt er dem Mitarbeiter den
"Schwarzen Peter" zu und das soll dieser auch noch toll finden?
Ihre
Angst, dass die ÖBB-Pensionen den österreichischen Steuerzahler enorm
belasten finde ich berechtigt. Objektiv gesehen jedoch nicht mehr als es
andere Pensionssysteme auch tun. – nur die Optik ist eine andere!!! Ich
hoffe doch, dass Sie das auch wissen.
Wenn man die Beitragszahler so massiv reduziert (Stellenabbau, Neue MA im
ASVG) wie bei den ÖBB, kann das Umlageverfahren im Pensionssystem nicht
mehr funktionieren. Dafür sind nicht die Mitarbeiter der ÖBB
verantwortlich, sondern die Eigentümervertreter – die politisch
Verantwortlichen, die ziehen die Fäden und nicht der "kleine Mann".
Dennoch wird den Eisenbahnern der "Schwarze Peter" zugeschoben und gegen
sie Stimmung gemacht, um von der eigenen Unfähigkeit abzulenken.
Die Eisenbahnerpensionen gehören aus dem Kostenbereich der ÖBB
ausgegliedert, Kein Unternehmen kann mit einem derartigen Lastenpaket
überleben. Besonders deshalb, da diese Belastung in den nächsten Jahren
extrem progressiv ansteigen wird
In den Wirtschaftsmedien wird propagiert, wie wichtig Wachstum für die
Wirtschaft und die Betriebe sei. Was macht man mit den ÖBB? – Ausgliedern,
Gesundschrumpfen?
Abnehmen kann bis zu einem gewissen Grad gesund sein, aber irgendwann wird
es krankhaft. Ich hoffe nur, dass die neue Krankheit: "Arbeitsbulimie",
bei der die Mitarbeiter zu kotzen beginnen, wenn sie an den Betrieb
denken, bei den ÖBB nicht überhand nimmt.
Übriges, jeder gut funktionierende Betrieb ist in Form einer Pyramide
aufgebaut. Breite Basis – schlanker Kopf. Bei den ÖBB hat man inzwischen
die Basis "ausge-hungert", so dass die Pyramide zu einer Säule
degenerierte = schlanker Körper –Wasserkopf. Mit der beabsichtigten
Aufgliederung der ÖBB versuchen Sie ein neues System zu kreieren. Sie
machen einfach viele kleine Pyramiden und stellen diese auf den Kopf.
Schlanke Basis – breiter Kopf. Das kommt dem Versuch gleich,
physikalischen Gesetze außer Acht zu lassen.
Das schlimme daran ist, sollte es nicht funktionieren, gehen Sie so wie
viele Ihrer Vorgänger, in den reichlich abgesicherten Ruhestand. Schuld
haben dann trotzdem die Mitarbeiter. Spätestens, wenn sich der neue
"Retter" versucht!
Bitte
bedenken Sie, das es sich hier nicht um ein Spiel handelt, bei dem man
einfach die Karten neu mischt. Es geht hier um Menschen mit Gefühlen,
Menschen mit Existenzängsten, Menschen die keinen Geldpolster haben, und
deren Familien.
Eisenbahner sind auch Österreicher und Steuerzahler!!!
Wenn Sie den geplanten Personalabbau verwirklichen, denken Sie bitte an
obige Worte, bzw. auch daran, dass es bei großen Firmen, immer wieder
Sozialpläne gegeben hat, damit der Mensch nicht auf der Strecke bleibt.
Hoffentlich ist das überhaupt noch möglich, denn wenn die Volksmassen
weiterhin so gegen die Eisenbahner mobilisiert werden, fällt mir sofort
der Zauberlehrling ein. Dann ist es nicht mehr weit bis dahin, dass einer
von diesen asozialen, privilegierten, sozialschmarotzenden, nichtsnutzigen
Zugbegleitern, im Zug gelyncht wird, weil er einem ehrlichen, treuen,
arbeitslosen Schwarzfahrer den erhöhten Fahrpreis berechnen wollte.
Bezüglich der oft kritisierten Unkündbarkeit der Eisenbahner, einem
angeblich zu Unrecht gewährtem Beamtenstatus, gebe ich zu bedenken, dass
sehr viele Mitarbeiter der ÖBB von einem erlernten Beruf, in einen
Eisenbahnspezifischen Beruf gewechselt sind. Oft aus Liebe zur Eisenbahn,
oft aus Sicherheitsdenken, aber großteils mit erheblichen finanziellen
Verlusten.
Mein ÖBB-Gehalt war in den ersten beiden Monaten um 20% niedriger, als das
Arbeitslosengeld, das ich kurze Zeit bezog.
Jedenfalls kann man wie bei mir, nach über 20Jahren Abwesenheit vom
erlernten Beruf, dort nicht wieder lückenlos anschließen, vielleicht auch
aus gesundheit-lichen Gründen.
Übrigens Herr Mag. Kukacka, wenn Ihnen die Steuerzahler und die
Finanzierbarkeit des österreichischen Staates so am Herzen liegen, warum
leistet sich Österreich auf die Einwohnerzahl gerechnet, 3x so viele
Politiker wie Deutschland? Wäre nur als Denkanstoss gedacht. Aber hier
gibt es eben keinen Wettbewerb, bzw. eine Effizienzkontrolle und schon gar
keine Kosten – Nutzen Rechnung, aber es wäre ein enormes
Einsparungspotenzial!!!
Abschließend wünsche ich Ihnen von ganzen Herzen viel Glück bei der
Modernisierung der ÖBB und der fairen und menschlichen Behandlung der
Mitarbeiter.
Verlassen Sie die Strasse der Emotionen und verhandeln Sie sachlich, fair
und mit einem Blick auf das Ganze.
Wenn
Sie die Kundenwünsche ungeschminkt, nicht beeinflusst durch gezielte
Befragungen, kennen lernen möchten, kann ich Ihnen gerne eine
Gesprächsrunde mit Zugbegleitern und KWD-Fahrern vermitteln.
Die leben hautnah am Puls unserer Kunden.
Bei Interesse, stehe auch Ich gerne zu einem persönlichen Gespräch zur
Verfügung.
Mit
freundlichen Grüssen
Walter
Rosenthaler