"Der Trümmerhaufen ÖGB"
Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Außer: Gewerkschaftszeitung gibt's auch keine mehr!
"DER STANDARD"-Kommentar: "Der Trümmerhaufen
ÖGB" von Eva Linsinger
Mit angeschlagenem Chef steht die Gewerkschaft vor ihrem ideologischen Konkurs -
Ausgabe vom 14./15. Juni 2006
Wien (OTS) - Es ist mehr ein Trümmerhaufen als eine Baustelle:
Neben der Zentrale der Gewerkschaft in der Wiener Innenstadt stehen Rudimente
eines Gebäudes. Daraus sollte eigentlich das neue Haus des ÖGB werden.
Eigentlich - denn die Bauarbeiten sind gestoppt. Wenn der starke Arm der
Gewerkschaft es will, dann stehen die Kräne auf der eigenen Baustelle still.
Recht viel mehr bringt der ÖGB derzeit nicht zustande: Auch er ist ein
Trümmerhaufen - nicht einmal mehr eine Baustelle.
Damals, vor zweieinhalb Monaten, als Fritz Verzetnitschs Aktien wegen riskanter
Karibikgeschäfte den Sturzflug antraten und der ÖGB-Präsident zurücktreten
musste, war das ein Riesenschock für den ÖGB. Aber immerhin gab es für
Optimisten Minianlässe zur Hoffnung, dass die Krise eine Chance bedeuten könnte:
Für den Neuanfang, für ein Ende der Selbstblockade verfeindeter alter Männer an
der ÖGB-Spitze. Die Internet-Initiative "Zeichen setzen" war das Sinnbild eines
versuchten Neustarts. Zweieinhalb Monate später haben 5777 der verbliebenen
ÖGB-Mitglieder ein Zeichen gesetzt und unterschrieben, das sind marginale 0,4
Prozent. Das ist kein Aufbruchssignal – im Gegenteil: Das ähnelt mehr einer
Bankrotterklärung.
Ähnlich desaströs wie die Reformversuche der Basis verliefen die
Krisenbewältigungsbemühungen der ÖGB- Spitze: Neopräsident Rudolf Hundstorfer
hatte mit trockenem Krisenhumor keinen schlechten Start und bekam im
zerknirschten Entschuldigen schnell Übung. Bloß: Dieser herbe Charme verblasste
angesichts immer neuer Hiobsbotschaften. Spätestens seit dem Geständnis auf
Raten, dass er bei der Übertragung der Bawag-Schulden an den ÖGB zumindest
körperlich anwesend war, kann er die Rolle des Unschuldigen nicht mehr spielen.
Im Gegenteil: Hundstorfers Herumdrucksen, ob er nun im September 2005 den
Schuldentransfer unterschrieben hat oder doch nur die Anwesenheitsliste, zeigt
deutlich, dass er eben doch ein Vertreter des alten ÖGB ist. Ob er nun naiv
genug war, nicht zu lesen, was er beschließt, ob er in blindem Vertrauen blanko
abnickte und gar nicht wissen wollte, was er beschließt, oder ob er schon länger
über die katastrophale Finanzsituation der Gewerkschaft Bescheid wusste, ist
letztlich fast irrelevant. Denn unter dem Strich bleibt: Hundstorfer ist nicht
mehr unbelastet. Der Krisenmanagementversuch, Verzetnitsch und Günter Weninger
zu den Alleinwissern und Alleinschuldigen zu erklären, ist gescheitert.
Damit ist Hundstorfer ein angeschlagener Präsident, der einen schwer
angeschlagenen ÖGB führen soll. Die Situation ist dramatisch, finanziell wie
politisch: Der ÖGB muss sein Vermögen verkaufen, um den Schuldenberg halbwegs
unter Kontrolle zu bringen. Für politische Schlagkraft lässt der Sparzwang
keinen Raum: Nicht nur der Bau der Zentrale ist gestoppt, alle Aktionen der
Gewerkschaft müssen warten.
Der ÖGB ist nicht mehr streikfähig, sondern streichfähig.
Das gilt nicht nur für die Organisation, sondern auch inhaltlich: Der ÖGB ist
finanziell in den roten Zahlen - und steht ideologisch vor dem Konkurs. Denn wer
sollte der Gewerkschaft Kritik am Heuschrecken-Kapitalismus abnehmen, wenn sie
selbst im großen Stil Geld verzockte? Wie soll der ÖGB die Rolle des Widerparts
zur konservativen Regierung einnehmen, wenn er alle Glaubwürdigkeit verspielt
hat? Warum soll jemand den schwachen Arm der Gewerkschaft ernst nehmen?
Denn schon vor dem karibischen Hurrikan war der ÖGB in der Krise: Er beschränkte
sich auf Vertretung der Vollzeitarbeitskraft in Großbetrieben, gerierte sich als
eitler Männerverein, verschlief internationale Vernetzung - ganz so, als ob
weder Globalisierung noch EU-Beitritt stattgefunden hätten. Schon vor der
Selbstentwaffnung in den vergangenen zweieinhalb Monaten war der ÖGB für eine
Reform zu schwach. Ob jetzt aus dem Trümmerhaufen ein neuer ÖGB entstehen kann?
Vorerst sind nicht einmal Bauarbeiten dafür erkennbar.