Die kreativen Schuldenmacher
"Presse"-Leitartikel von Josef Urschitz
Wien (OTS) - Der "Maastricht"-Selbstbetrug
eignet sich für Brüsseler Statistiken, aber nicht für Koalitionsverhandlungen.
Schuldenpolitik war einmal, sagen die einen: Jetzt sind die Staatsdefizite
moderat, der Schuldenstand sinkt, der Staatshaushalt ist nachhaltig saniert.
Stimmt nicht, sagen die anderen: Die Staatskassen sind leer, die Schulden
steigen, die Reserven der Notenbank wurden geplündert, die Nulldefizitpolitik
ist gescheitert. So unterschiedlich kann man dieselben Statistiken
interpretieren. Was stimmt nun wirklich? Immerhin geht es ja um die Frage, ob
sich die Republik das teure Wunschkonzert, das sich die Koalitionsverhandler
gerade zusammenstellen, leisten kann. Nun: Die Budgetdefizite sind tatsächlich
moderat geworden, wenngleich sich das viel zitierte "ausgeglichene Budget über
den Konjunkturzyklus" als inhaltsleere Worthülse des Finanzministers entpuppt.
Und der Anteil der "Maastricht-relevanten" öffentlichen Verschuldung am
Bruttoinlandsprodukt sinkt seit 1999 tatsächlich leicht, wenngleich Österreich
das "Maastricht-Kriterium" einer Verschuldung von maximal 60 Prozent des BIP
immer noch nicht erfüllt. Blöd nur, dass die Gläubiger der Republik ihre
Darlehen nicht in BIP-Prozenten zurückgezahlt haben wollen. Sondern in Euro. Und
da sieht die Sache anders aus: Seit dem Antritt der jetzt abgewählten
schwarz-blau-orangen Regierung ist der "Maastricht"-Schuldenstand der Republik
zwar deutlich langsamer gewachsen als in den fidelen
rot-schwarzen Neunzigerjahren. Aber er ist derzeit doch um knappe 22 Milliarden
Euro höher als 2000. Schuldenabbau sieht eigentlich anders aus.
Vor allem aber: Maastricht-Schulden sind die,
die man beim besten Willen nicht verstecken kann. In Wirklichkeit sind die
Verbindlichkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden natürlich viel höher. Und: Vor
allem in den Bundesländern steigen diese versteckten Schulden mit ungeheurem
Tempo. Da bahnt sich ganz versteckt ein ziemliches finanzielles Desaster an.
Denn zurückgezahlt werden müssen natürlich auch die "unsichtbaren" Schulden. Der
Kreativität sind beim Schuldenverstecken keine Grenzen gesetzt: Da verkaufen
Bund und Länder Immobilien und Krankenhäuser an zu hundert Prozent in ihrem
Besitz stehende Unternehmen, also genau genommen an sich selbst, und nutzen das
zu versteckter Schuldenaufnahme. Da werden hunderte Millionen an
Wohnbauförderungsmitteln (seit 2001 ganz legal) zum Stopfen von Budgetlöchern
abgezweigt, da wird rechnerisch getrickst, was das Zeug hält. Dass der Bund 20
Milliarden an Schulden in ÖBB und Asfinag ausgelagert hat (ein Schuldenstand,
der bald auf 30 Milliarden
angewachsen sein wird), ist da nur noch das Tüpfelchen auf dem i. Eigentlich ist
das eine Form des Selbstbetrugs beziehungsweise der Wählertäuschung: Die
Bundesländer beispielsweise liefern für das gesamtstaatliche "Maastricht"-Budget
sogenannte "Maastricht"-Budgetüberschüsse ab, von denen selbst der
Staatsschuldenausschuss sagt, dass sie ausschließlich "durch buchhalterische
Maßnahmen" zustande kommen. Im Klartext: Diese Überschüsse gibt es in der
Realität gar nicht.
Wie denn auch: Das Land Kärnten beispielsweise
"überweist" einen errechneten "Überschuss" an den Bund, obwohl die wahre
Verschuldung des Landes derzeit um atemberaubende 200 Millionen Euro im Jahr
steigt (was einem jährlichen Schuldenzuwachs von fast 20 Prozent entspricht).
Diese Form des Selbstbetrugs mag für Brüsseler "Maastricht"-Statistiken gut
sein. Aber sie eignet sich nicht für Koalitionsgespräche. Dort sollten die
Verhandler beim gegenseitigen Vorlesen ihrer umfangreichen Wunschlisten jetzt
einmal innehalten und sich überlegen, wie die dafür notwendigen zusätzlichen
Ausgaben mit dem rasanten Anstieg der versteckten Verschuldung des Landes in
Einklang gebracht werden können. Das Ergebnis dieser stillen Einkehr kann noch
immer sein, dass vieles leistbar ist. Aber wohl nur dann, wenn man die
versteckte Ausgaben- und Schuldenexplosion in den Ländern, im Gesundheitsbereich
und in ausgelagerten Bundesbetrieben in den Griff bekommt.
Und das kann wohl nur bedeuten, dass die Koalition ihre Zweidrittelmehrheit
zuerst einmal für eine ordentliche Bundesstaatsreform mit einer klaren
Festlegung finanzieller
Verantwortlichkeiten einsetzt, bevor sie sich Gedanken über alle möglichen
Geschenkspackerl macht. Sonst beschließt sie nämlich mit der Grundsicherung
gleich das nächste Sparpaket mit. Und zwar eines, das sich dann gewaschen hat.