Den Sparefroh nimmt der ÖVP
niemand ab
Wirtschaftsblatt Kommentar vom 18. 10.
2006: - von Herbert Geyer
Ihr "Sanierungskurs" hat die Staatsschulden
um 20 Prozent erhöht
Wien (OTS) - Eine der Mauern, die die ÖVP
aufrichtet, um nur ja nicht mit der SPÖ regieren zu müssen, ist die von dieser
angeblich
geplanten "Rückkehr zur Schuldenpolitik der 70er- und 80er-Jahre"
(Finanzminister Karl-Heinz Grasser).
Diese Prioritätensetzung ist zweifellos ehrbar, aber doch überraschend. Denn
seit 2001/02 - nach einem Crash-Sparkurs, von dem
sich die Wirtschaft erst heuer wieder erholt hat - das Nulldefizit erreicht
wurde, war immerhin vier Jahre lang keine Rede mehr davon.
Selbst heuer, einem Jahr mit Hochkonjunktur, in dem laut Lehrbuch Überschüsse
produziert werden müssten, macht das Maastricht-Defizit voraussichtlich 1,5
Prozent des BIP aus.
Tatsächlich sind die offiziellen Staatsschulden seit Ende 1999 von damals 133
Milliarden Euro auf 155,1 Milliarden am Ende des Jahres
2005 gestiegen, heuer zu Jahresende dürften es nach Schätzungen des
Staatsschuldenausschusses 160 Milliarden werden - gut 20 Prozent mehr als vor
Beginn der schwarz-blauen "Sparpolitik".
Und das ist nur die halbe Wahrheit. Denn neben den offiziellen Staatsschulden
haben Grasser & Co. auch noch ordentlich "graue"
Schulden angesammelt - etwa zur ausserbudgetären Finanzierung von Bahn- und
Strassenbau. Die ÖBB wurde 2004 im Zuge der ÖBB-Reform entschuldet, schon
kommendes Jahr wird aber der Rekordschuldenstand von 2003 wieder überschritten
werden. Die zuletzt verwirklichten Bahninvestitionen waren um rund ein Viertel
teurer als veranschlagt. Der geplante Wiener Hauptbahnhof konnte im Aufsichtsrat
nicht beschlossen werden, weil seine Kosten schon vor dem ersten Spatenstich von
420 auf 660 Millionen Euro explodiert sind. Aber nicht nur bei der Bahn
schiessen die Schulden unkontrolliert in die Höhe: Der auf Pump finanzierte
Autobahnbau der vergangenen vier Jahre kostete statt 1,7 Milliarden Euro gleich
4,6 - nahezu das Dreifache.
Angesichts dieser Zahlen scheint es seltsam, sich in Koalitionsverhandlungen als
Sparefroh profilieren zu wollen. Zumal auch die VP-Pläne zur Sanierung nicht
nachvollziehbar sind: Um 2008 noch ein Nulldefizit erreichen zu können, müssten
rund vier Milliarden Euro eingespart werden, niemand weiss, wo. Aus der
Bundesstaatsreform - übrigens ein überzeugendes Argument für eine Grosse
Koalition, die einzige, die dafür die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit hätte -
sicher nicht, denn die müsste dafür längst schon beschlossen sein.
Rückfragehinweis:
WirtschaftsBlatt
Redaktionstel.: (01) 60 117/305 oder 280