Selbstverwaltung statt Zentralisierung - Nein zu dieser Gesundheits"reform"!
- Gesundheits"reform" ist der Einstieg in die Liberalisierung
und Privatisierung im Gesundheitsbereich.
- Werkstatt ruft zu Widerstand gegen den Regierungsangriff auf das
Gesundheitssystem auf.
"Wir rufen alle auf, gegen den Regierungsangriff auf das Gesundheitssystem aktiv
zu werden. Nützt Möglichkeiten zur Bildung von Initiativen und Plattformen.
Überlegen wir gemeinsam die Organisierung von Protestaktionen. In Linz laden wir
für Mittwoch, 21. Mai 2008, 18.00 zur Beratung entsprechender Schritte ins
Werkstattbüro. Wir werden auch Aktivitäten der Beschäftigten der Krankenkassen
und der Ärzteschaft, wenn sie auf ein leistungsstarkes, solidarisches
Gesundheitssystem gerichtet sind, nach Kräften unterstützen!" erklärt Boris
Lechthaler, Vorsitzender der Werkstatt Frieden&Solidarität, zum Plan der
Regierung bereits am kommenden Dienstag die Gesetzesvorlage zur sogenannten
Gesundheits"reform" durch den Ministerrat zu schicken. Die Unterschrift des
Bundespräsidenten unter den EU-Vertrag von Lissabon ist noch nicht trocken,
schon startet die Regierung den bisher massivsten Angriff auf unser
solidarisches Gesundheitssystem. Diese Reform ist der Einstieg in die
Liberalisierung und Privatisierung im Gesundheitsbereich. In der
Länderempfehlung an Österreich, verfaßt von der EU-Komission, hieß es bereits
zur Jahreswende wörtlich:
"Außerdem muss Österreich während der Laufzeit des nationalen Reformprogramms
folgende Schwerpunkte setzen: Straffung der Haushaltsanpassung, um vor 2010
einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, Intensivierung des Wettbewerbs bei
den Dienstleistungen und insbesondere bei den freien Berufen, größeres
Augenemerk auf die Erziehung zu unternehmerischer Initiative, ..." (Empfehlung
der Komission für eine Empfehlung des Rates zu den 2008 aktualisierten
Grundzügen der Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten..:, KOM (2007) XXX - Teil
IV).
Während also ÖGB-Hundsdorfer noch coram publico die sozialpolitischen
Fortschritte des EU-Vertrags bejubelte, und seinen Apparat incl. Abgeordnete zum
Jasagen verpflichtete, wurde hinter Kabinettstüren mit den Spezis von der
Wirtschaftskammer die Umsetzung der EU-Empfehlungen zu mehr Konkurrenz,
Leistungskürzungen, Entsolidarisierung und politische Unterwerfung im
Gesundheitsbereich auspaldowert. Rund 10% des österreichischen BIP fließen in
den Gesundheitsbereich. Dieser gewaltige wirtschaftliche Sektor wird zu einem
guten Teil solidarisch verwaltet und verweigert sich bislang der
Kapitalisierung. Das soll sich rasch ändern. Der Druck zur Verbilligung des
Arbeitskräfteangebots soll weiter erhöht werden. Dessen solidarische
Selbstregulierung soll zugunsten des direkten Zugriffs der Regierung geopfert
werden. Dafür spielt ÖGB-Hundsdorfer den Ball auf. Der Widerstand muß gegen jene
organisiert werden, die eigentlich zuständig wären, ihn zu organisieren und
dafür auch hochbezahlt werden.
Das Sozialpartnerpapier spricht lapidar von einer "sauberen organisatorischen
Trennung von Leistungserbringung und Finanzierung" (Werkstatt-Rundbrief
14-2008). Wer sich ein Bild von den konkreten Auswirkungen dieser lapidaren
Ankündigung machen will, werfe einen Blick auf die Arbeitsmarktverwaltung durch
das AMS. Die Finanzierung ist zentralisiert. Die Leistungserbringung erfolgt
über eine Anzahl von Sozialfirmen, die untereinander in Konkurrenz stehen. Die
Verweildauer von Jugendlichen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen hat sich seit
den 80er Jahren von 3 Jahren auf 3 Monate verkürzt. Die Organisation des
Wettbewerbs über Ausschreibungen sichert die Einbindung auch der
privatwirtschaftlich agierenden Einrichtungen bei der Disziplinierung der
Arbeitskräfte. Es verschlechtern sich sowohl die Leistungen für die
Versicherten, als auch die Rahmenbedingungen für die in der Organisation des
Arbeitsmarktes
Beschäftigten.
Ähnliches droht jetzt bei der Finanzierung und Organisation des
Gesundheitssystems. Die Selbständigkeit der Gebietskrankenkassen soll wesentlich
beschnitten werden, der Hauptverband soll in eine Holding verwandelt werden.
Damit bekommt die Regierung selbst direkte Durchgriffsrechte auf die einzelnen
Kassen. Gleichzeitig soll das Prinzip der kollektiven Einigung mit der
Ärzteschaft aufgegeben werden. Es gibt keinen Anlaß dabei zu der Beschneidung
von Privilegien der Ärzteschaft zu applaudieren. Konkret heißt dies, dass auch
hier das Billigstbieterprinzip durchgesetzt werden soll. "Ärztefirmen" mit
Billigstarbeitskräften sind die sichere Folge. Die Ärzteschaft hat auch bereits
Widerstand angekündigt, so ÖAK-Präsdient Dr.Walter Dorner: "Wir werden nicht
zulassen, daß bei Kündigung der ärztlichen Gesamtverträge durch die
Krankenkassen über Einzelverträge mit Ärzten, die wohnortnahe medizinische
Versorgung
qualtitativ und vor allem quantitativ stark reduziert wird." (ÖAK,
Presseinformation, 7.5.2008). Für die OÖ GKK heißt dies, daß sämtliche
kasseneigene Leistungserbringungseinrichtungen ausgegliedert, privatisiert,
stillgelegt werden müssen (15 Zahnambulatorien, vier Fachambulatorien, drei
Kurheime, u.a.)
"Die Misere der sozialen Kassen rührt jedoch nicht aus der vielbeschworenen
Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP
ist weitgehend stabil geblieben, 1995: 9,7%, 2000:9,9%, 2006: 10,1%. Die
finanzielle Misere wurde vielmehr gezielt durch die Bundespolitik der letzten
Jahre herbeigeführt. Laut Leo Chini, Gesundheitsökonom an der WU Wien, kosteten
eine Reihe gesetzlicher Maßnahmen allein der Wiener GKK 500 Mio EUR." erklärt
Gerald Oberansmayr von der Werkstatt Frieden&Solidarität.
"Wir brauchen keine Kürzungen, sondern die Weiterentwicklung des
Sozialversicherungssystems hin zu neuen Aufgaben, wie der Organisation und
Finanzierung der Pflegedientleistungen. Dafür muß die Finanzierungsgrundlage der
Sozialversicherung ausgeweitet werden. Die Anhebung der
Höchstbemessungsgrundlage und die Ausdehnung der
Bemessungsgrundlage des Arbeitgeberanteils auf die gesamte Wertschöpfung kann
kurzfristig notwendige Finanzmittel lukrieren. Längerfristig brauchen wir eine
Politik die Vollbeschäftigung und höhere Löhne und Gehälter, um eine breite
Finanzierungsgrundlage zu sichern. Die ArbeitnehmerInnen sind zur Zeit von den
Produktivitätsgewinnen abgekoppelt. Dies führt indirekt zur finanziellen
Austrockung der Krankenkassen", ergänzt Tanja Kaizar, Pflegeexpertin und
Werkstattaktivistin in Wien.
Werner Unterstab, Psychotherapeut und Werkstatt Aktivist in Linz gibt zu
Bedenken: "Gesundheit darf nicht nur ein rein marktwirtschaftlichen Kostenfaktor
sein. Das war bisher der solidarische Sinn unseres gemeinnützigen
Sozialversicherungssystems. Dieses sozial notwendige System könnte auch
weiterhin einer optimalen Versorgung der breiten Bevölkerung dienen, allerdings
nur unter dem Aspekt einer zusätzlichen, gerechten Umverteilung aus den
wachsenden Gewinnen der aktuellen neoliberalen Wirtschaft. Auf dem Gebiet der
psychotherapeutischen Versorgung konnten gemeinsam mit den Kassen in
Oberösterreich bereits einige Verbesserungen erreicht werden, deren dringender
weiterer Ausbau nun wieder akut gefährdet ist. Da Gesundheit keineswegs nur vom
Individualverhalten abhängt, sondern in zunehmenden Maß (Umweltzerstörung) auch
ein gemeinschaftliches Gut von sehr hohem Wert ist, bedarf es solidarischer
Strategien, um dieses Gut auch entsprechend nachhaltig zu sichern. Patienten,
Kassen und Ärzte brauchen die Sicherstellung professioneller Qualitätsstandards.
Wichtig ist jetzt, dass sich die Versicherten selbst zu Wort melden. Nur sie
können die Pläne von EU-Kommission, Regierung und Sozialpartner durchkreuzen.
Wir brauchen eine Stärkung der Selbstverwaltung und nicht Zentralisierung,
Liberalisierung und Privatisierung. Wir fordern deshalb, die direkte Wahl von
Versicherten-VertreterInnen."
"Die Regierung muß dieses Sozialpartnerpapier im Reißwolf entsorgen. Ein derart
tiefgreifender Eingriff in das Sozialsystem, darf nicht ohne Urabstimmung der
Versicherten erfolgen. Schluss mit der Buckelei gegenüber den Brüsseler
Vorgaben. Verteidigen wir unser solidarisches Gesundheitssystem, kämpfen wir für
dessen gerechte Weiterentwicklung!", so Boris Lechthaler abschließend.
Einladung zum Treffen
Wie können wir Widerstand gegen diese Gesundheits"reform" leisten
Mittwoch, 21. Mai 2008
18 Uhr, Büro der Werkstatt Frieden & Solidarität
(Waltherstraße 15, 4020 Linz)