Bahnpolitik ohne Fahrgäste Verkehrspolitik ohne Ziel?

 

Aus einer Pressekonferenz vom 21. Februar 2001

mit Dr. Eva Lichtenberger, Verkehrssprecherin der Grünen.

Stilllegungen im Neben- und Hauptbahnnetz drohen

Die Grünen sind überzeugt: Das Jahr 2001 wird als schwarzes Jahr der Verkehrs- und Bahnpolitik in die Geschichte eingehen. Die ÖBB als in jedem Sinn markt- und politikbeherrschender Monopolist machen ihre Unternehmensstrategie wahr und setzen massiv auf den Güterverkehr und das Speditionsgeschäft auf der Straße, während der weniger gewinnträchtige Personenverkehr sukzessive abgebaut wird. Und die verantwortliche Politik in Bund und Ländern spielt das traurige Spiel mit wenigen Ausnahmen mit. Das Ergebnis: Laufend, vor allem aber mit dem Fahrplanwechsel am 9. Juni, wird das Angebot für die KundInnen im Personen- und Güterverkehr gravierend beschnitten.

Die Grünen protestieren massiv gegen diese menschen- und umweltfeindliche Entwicklung und fordern deshalb ÖBB und Verkehrsministerin auf, endlich die Fahrgäste in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten zu stellen.

 

Die Situation: Nebenbahnen, Hauptstrecken und Fernverkehr sind bedroht

Bereits vor acht Monaten haben die ÖBB in der Öffentlichkeit und gegenüber dem Verkehrsminister als Vertreter ihres Eigentümers Republik Österreich ihre Forderung nachdrücklich deponiert, 32 so genannte "Nebenbahnen" stillzulegen. Eine Protestlawine war die Folge, von parteiübergreifenden Vorstößen in "Nebenbahn-Regionen" und Gemeinden über zahlreiche Initiativen von Fahrgästen und KundInnen der Bahn bis zu starken Worten seitens einiger hoher LandespolitikerInnen. Im Rahmen der breit unterstützten Kampagne "Ausbauen statt Einstellen!" der Grünen im Sommer 2000 gab es für keine dieser Strecken weniger als 800 Unterstützungserklärungen, zum Teil ging die Zahl der Unterschriften für die Erhaltung von Strecken in die Tausende.

Vor sechs Monaten umfasste die offizielle Liste der Schließungswünsche dann noch 21 Strecken. Mittlerweile liegt nun das tatsächliche Schließungsprogramm der ÖBB auf dem Tisch. Die Streichliste ist geschrumpft, aber nach Ansicht der Grünen immer noch viel zu lang.

Niederösterreich als Land mit den meisten Nebenbahnstrecken bleibt hauptbetroffen: Bei je vier Strecken soll der Personen- bzw. der Güterverkehr eingestellt werden, bei vier weiteren quasi auf Abruf bis Ende 2001 weiter gefahren werden. In der Steiermark soll eine Strecke komplett und bei einer weiteren der Güterverkehr eingestellt werden. In Salzburg soll auf einer Strecke auf Abruf bis Ende 2001 weiter gefahren und im Ausschreibungsweg ein neuer Betreiber gesucht werden. In Tirol wird auf einer Strecke noch fieberhaft nach einer halbwegs kundInnenfreundlichen Lösung gesucht. In Kärnten soll auf einer Strecke der Güterverkehr eingestellt werden. Dazu kommen einige bislang nicht entschiedene Fälle, wie die Strecke Oberwart-Friedberg (Burgenland/Steiermark), wo die Grünen eine Rücknahme der Einstellungsabsichten der ÖBB erreicht haben und derzeit Verhandlungen über den Weiterbetrieb laufen.

KundInnenverscheuchung, nächste Stufe

Spätestens ab Fahrplanwechsel drohen zusätzlich Verschlechterungen auf Hauptstrecken. Zum Beispiel (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) ...

 

Und zu schlechter Letzt sind im internationalen Reisezugsverkehr gravierende Verringerungen des ohnedies seit Jahren rückläufigen Zugsangebots geplant. Zum Beispiel soll mit dem Fahrplanwechsel die Zahl der Zugspaare zwischen Wien und Budapest von 9 auf 4 reduziert werden. Dies ist nach Ansicht der Grünen ein besonders verfehltes Signal am Vorabend der EU-Ostöffnung, politisch zu verantworten von einem Regierungsmitglied jener Partei, die bei jeder Gelegenheit die Ost-Transitlawine beschwört und mit Blick auf Investitionswünsche Richtung Osten von "Landesverrat" spricht.

Einschätzung der politischen Perspektive

Die unerfreuliche Situation im Schienenverkehr selbst ist nach Ansicht der Grünen das Ergebnis einer inkonsequenten und über weite Strecken überhaupt fehlenden Bahnpolitik. Die diesbezüglichen Fehler der Vergangenheit wurden jedoch auch nach dem Regierungswechsel - in etwas chaotischerer Form - nahezu unverändert fortgesetzt.

 

Das traurige Resümee der Grünen: Von Bahnpolitik kaum eine Spur. Ein funktionierender öffentlicher Verkehr ist aber für viele Menschen unverzichtbar und existenziell notwendig. Und eine ÖBB-Politik, die sich in der "Umfärbung" von Aufsichtsrat und Vorstand und im Beschäftigen teurer Consultingfirmen als Politikersatz erschöpft, ist zum Scheitern verurteilt. Beides zusammen wird als maßgeblicher Beitrag von Blau-Schwarz zum künftigen Verkehrschaos in Österreich in die Geschichte eingehen.

Nach Überzeugung der Grünen müssen sich die ÖBB neben dem notwendigen Engagement in den gewinnträchtigen Güterverkehrsmärkten umgehend auf ihre Aufgabenstellungen im Personenverkehr besinnen. Ansonsten wird das Unternehmen in kürzester Zeit seine Akzeptanz in der Bevölkerung verlieren und - auf Kosten der KundInnen und der in weiten Unternehmensbereichen überdurchschnittlich engagierten Bediensteten - vom Paradeunternehmen zurecht zum Abverkaufskandidaten werden.

Forderungen der Grünen nach 100 Tagen Forstinger

Die kritische Situation in Bereich der Bahn erfordert entschlossene Weichenstellungen und sachlich konsequente Initiativen. Von der Verkehrsministerin (derzeit Monika Forstinger) als Eigentümervertreter erwarten die Grünen die raschestmögliche Durchsetzung folgender wichtiger Entscheidungen und Weichenstellungen:

 

"Mit dieser Unternehmenspolitik wird es den ÖBB zunehmend schwer fallen zu argumentieren, warum es neben oder nach den ÖBB möglichst niemanden geben soll. Die Zeit des Kritikverbotes am "Staat im Staat ÖBB" und an der weithin in Agonie befindlichen Eisenbahnbehörde muss jedoch vorbei sein. Die BürgerInnen haben angesichts ihrer laufenden Milliardeninvestitionen einen Anspruch auf ernsthafte Bahn- und Verkehrspolitik in Österreich. Solange die Verkehrsministerin so wie ihr Vorgänger keine bahnpolitische Strategie erkennen lässt und zielführende Eingriffe weithin unterbleiben, gilt für die BahnnutzerInnen höchste Alarmstufe!"