Anwendung der Urlaubsdienstanweisung der ÖBB auf Arbeitnehmer im Wechseldienst

 

 

An den

Betriebsrat der ÖBB-Traktion GmbH

Fahrbetrieb West 3

Hauptfrachtenbahnhof 6

6020 Innsbruck

 

                                                                                                                                                       Dr.Radner                                 Innsbruck, 19.10.2005


Anwendung der
Urlaubsdienstanweisung der ÖBB auf Arbeitnehmer im Wechseldienst

Sehr geehrter Herr Eller, sehr geehrter Herr Eigentler!

 

Die Zentralbetriebsräte dar ÖBB-Traktion GmbH, Herr Gottfried Eller und Herr Karl-Heinz Eigentler haben die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Tirol um arbeitsrechtliche Beurteilung der Anwendung der Urlaubsdienstanweisung der ÖBB in der Fassung RL (44), Arbeits- und Sozialrechts-Info Nr. 2/2004. auf Arbeitnehmer, die im Rahmen einer 7-Tage-Woche im Wechseldienst mit unterschiedlicher Dienstplaneinteilung und durchgehenden Dienstzeiten zwischen sechs und 15 Stunden beschäftigt sind, ersucht.

 

Grundsätzlich beträgt gemäß Punkt 2.1 der ÖBB-Urlaubsdienstanweisung das Urlaubsausmaß mindestens 30 Werktage und erhöht sich nach einer Dienstzeit von 25 Jahren auf 36 Werktage. Punkt 8a der Dienstanweisung enthält jedoch eine Umrechnungstabelle, wonach einem Werktag 6,666 Stunden zugeschrieben werden und somit einem Urlaubsausmaß von 30 Werktagen 200 Stunden entsprechen. In Punkt 2.4 der Dienstanweisung wird zwar zunächst festgehalten, dass der Urlaubsverbrauch nur in ganzen Urlaubslagen zulässig ist; die in den Punkten 2.1, 3.1, 3,3, 8b, 12.4 in Werktagen ausgedrückten Urlaubsausmaße werden für die Abbuchung in Stunden umgerechnet. Dem ÖBB-Angestellten sind für die Zeit seines Erholungsurlaubes so viele Arbeitsstunden als verbraucht abzubuchen, als ihm im selben Zeitraum Arbeitszeit (Normalarbeitszeit und bezahlte Pausen) nach dem Entfallsprinzip angerechnet werden.

 

Diese Regelung führt nun für die oben angeführten Bediensteten, die im Wechseldienst tätig sind und dabei Dienstzeiten bis zu 15 Stunden zu leisten haben, dazu, dass die Urlaubsstunden entsprechend der jeweiligen fiktiven längeren Diensteinteilung abgebucht werden. Hätte der Bedienstete 15 Stunden an seinem Urlaubstag zu arbeiten gehabt, werden von seinem Urlaubsstunden-Konto 15 Stunden abgezogen. Dies entspricht nach der oben genannten Umrechnungstabelle 2,25 Werktagen Urlaub. Im Extremfall bedeutet dies, dass bei einer Urlaubsnahme ausschließlich an Tagen mit 15-stündiger Diensteinteilung, ein Urlaubsausmaß von 13,3 Werktagen pro Jahr verbliebe.

 

Gemessen an den Grundsätzen das für fast alle privatrechtlich beschäftigten Arbeitnehmer geltenden Urlaubsgesetzes wäre eine derartige Urlaubsregelung jedenfalls grob rechtswidrig. Das Urlaubsgesetz geht von einem Urlaubsverbrauch in Wochen aus, zugunsten des Arbeitnehmers kann ein tageweiser Urlaubskonsum vereinbart werden, eine weitere Stückelung in Stunden ist grundsätzlich unzulässig. Oberste Maxime des Urlaubsgesetzes ist es, dass dem Arbeitnehmer pro Arbeitsjahr fünf bezahlte Urlaubswochen (bzw. sechs Wochen nach 25 Dienstjahren) zur freien Ge-staltung zur Verfügung zu stehen haben. Überdies dürfen Zeiten, bei denen aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen eine bezahlte Freizeit zu gewähren ist - wie zum Beispiel Feiertage oder Ersatzruhezeiten - nicht auf den Urlaub angerechnet werden.

 

Ausgenommen vom Anwendungsbereich des Urlaubsgesetzes sind jedoch Arbeitsverhältnisse zum Bund, auf die dienstrechtliche Vorschriften anzuwenden sind, welche den Urlaubsanspruch zwingend regeln (§ 1 Abs. 224 UrIG). Solange ÖBB-Bedienstete in Arbeitsverhältnissen zum Bund gestanden sind, waren diese zweifellos vom Anwendungsbereich des UrlG ausgenommen, da ihr Urlaubsanspruch durch als lax contractus geltende Dienstordnungen zwingend geregelt war (vgl. dazu Cerny. Urlaubsrecht 62).

 

Aufgrund der bei den ÖBB vorgenommenen Ausgliederungen handelt es sich nun mehr ausschließlich nicht mehr um Dienstverhältnisse zum Bund, sodass auch der Ausnahmetatbestand nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2.2.4 UrIG nicht mehr erfüllt ist. In diesem Zusammenhang sind jedoch auch die bei diesen Ausgliederungen jeweils erlassenen Übergangsbestimmungen zu beachten, die mit beinahe gleichem Wortlaut folgende Regelung enthalten und enthielten (im Folgenden wird nur auf die aktuellste Übergangsbestimmungen eingegangen):

 

Gemäß § 53 Abs. 5 Bundesbahngesetz bleibt der Anwendungsbereich von arbeitsvertraglichen Rechtsvorschriften des Bundes, in ihrer jeweils geltenden Fassung, die auf dienst- und besoldungsrechtliche Regelungsinhalte des ÖBB-Dienstrechts und die diesen Regelungsinhalten bis zum 31. Dezember 2003 zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse abstellen, bleibt für Dienstverhältnisse zu den ÖBB, deren vertraglich vereinbarter Beginn vor dem 1. Jänner 2004 liegt und die auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen, unberührt, auch wenn sie infolge eines Betriebsüberganges nach dem 31. Dezember 2003 auf ein anderes Unternehmen (Erwerber) übergehen.

 

Grundsätzlich fraglich ist, ob sich diese Übergangs- und Verweisungsbestimmung nur auf jene Rechtsvorschriften bezieht, in denen ausdrücklich auf das Dienstrecht von Eisenbahnen oder der österreichischen Bundesbahnen Bezug genommen wird (wie etwa in der Stammfassung des Arbeitsruhegesetzes) oder diese unabhängig vom Wortlaut den gesamten materiellen Rechtsbestand betrifft, der sich auch aus mehreren wiederum allgemein formulierten Übergangsbestimmungen ergibt. Letzteres wäre zwar unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Legalitätsprinzips grundsätzlich bedenklich, da es dem Rechtsunterworfenen dadurch beinahe verunmöglicht wird, den geltenden Rechtszustand festzustellen. Diesen verfassungsrechtlichen Erwägungen soll aber an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden, denn offenbar hat der Gesetzgeber mit dieser und den vorherigen Verweisungs- und Übergangsbestimmungen beabsichtigt, den Rechtsbestand des ÖBB-Dienstrechts unberührt zu belassen.

 

Daher ist als vorläufiger Befund festzuhalten, dass die in der ÖBB-Urlaubsdienst-anweisung vorgenommene Umrechnung in Urlaubsstunden - und zwar insbesondere schon im Hinblick auf den ersten Schritt der Umrechnung eines Werktages in 6,666 Stunden - zwar dem Urlaubsgesetz widersprechen würde, jedoch das Urlaubsgesetz aufgrund der Ausnahmebestimmung des § 53 Abs. 5 Bundesbahngesetz von den vorhergehenden Übergangsbestimmungen und § 1 Abs. 2.2.4 UrIG auf Dienstverhältnisse zu den ÖBB, deren vertraglich vereinbarter Beginn vor dem
1. Jänner 2004 liegt, keine Anwendung findet. Für Arbeitsverhältnisse, deren vertraglich vereinbarter Beginn nach diesem Zeitpunkt liegt, gilt jedoch das UrIG uneingeschränkt.

 

Für Dienstverhältnisse zu den ÖBB, deren vertraglich vereinbarter Beginn vor dem 1. Jänner 2004 liegt, ist jedoch auch das Gleichbehandlungsgebot zu beachten. Danach können einseitige oder kollektive Regelungen nicht vollkommen frei gestaltet werden, sondern diese müssen für alle davon betroffenen Arbeitnehmer in gleicher Weise gelten, falls nicht sachliche Differenzierungsgründe eine Ungleichbehandlung rechtfertigen oder diese sogar erfordern. In der hier zu beurteilenden Konstellation führt die für alle Dienstnehmer in gleicher Weise vorgenommene Umrechnung der Urlaubstage in Urlaubsstunden zu einer Benachteiligung von Arbeitnehmern, die aufgrund ihres unregelmäßigen Wechseldienstes höhere Dienstzeiten zu leisten haben. Diese Arbeitnehmer haben nicht - wie die Mehrzahl der anderen Dienstnehmer - fünf bzw. sechs Wochen pro Arbeitsjahr als bezahlte Freizeit zur freien Verfügung, sondern jedenfalls weniger (überdies würde ein allfälliges Unterschreiten eines vierwöchigen Jahresurlaubs der EU-Arbeitszeitrichtlinie widersprechen). Eine sachliche Rechtfertigung für diese ungleiche Schlechterbehandlung von Arbeitnehmer im unregelmäßigen Wechseldienst ist nicht ersichtlich.

 

Die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Tirol vertritt daher die Auffassung, dass der Abzug der fiktiv eingeteilten Arbeitsstunden vom Urlaubsguthaben entsprechend der in der ÖBB-Urlaubsdienstanweisung enthaltenen Umrechnungstabelle für Arbeitnehmer im unregelmäßigen Wechseldienst zu einer Verletzung des Gleichbehandlungsgebots führt. Es ist daher in der Urlaubsdienstanweisung eine Regelung zu treffen, die das auch in Punkt 2.1 der ÖBB-Urlaubsdienstanweisung enthaltene Urlaubsausmaß von mindestens 30 bzw. 36 Werktagen für alle Arbeitnehmer in gleicher Weise sicherstellt. Hierbei wäre es bei einer Urlaubsberechnung in Stunden grundsätzlich auch möglich, dass jenen Arbeitnehmern, die im Unterschied zu anderen Arbeitnehmern unregelmäßige Wechseldienste innerhalb einer 7-Tage-Woche zu leisten haben, jedenfalls nicht die fiktiv eingeteilten Arbeitsstunden vom Urlaubsguthaben abgebucht werden, sondern ein feststehendes Stundenguthaben, das unter Einbeziehung einer 7-Tage-Woche berechnet wird und ein jährliches Urlaubsmindestausmaß von fünf bzw. sechs Wochen gewährleistet. Eine derartige Neuberechnung müsste auch für bereits verbrauchte Urlaube erfolgen.

Wir hoffen, Ihnen mit diesen Auskünften gedient zu haben, für allfällige Rückfragen steht Ihnen Herr Dr. Thomas Radner selbstverständlich jederzeit zur Verfügung,

 

Mit freundlichen Grüßen

 

der Präsident