ÖBB-Personenverkehr in "wirtschaftlich dramatischer" Lage
APA Meldung
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APA0068 5 WI 0605 II/CI 22.Nov 05
Verkehr/Bahn/ÖBB/Reform/Bundesländer
ÖBB-Personenverkehr in "wirtschaftlich dramatischer" Lage
Utl.: Vorstand verlangt höhere Vergütungen von Bund und Ländern: Leistung
derzeit "gravierend unterpreisig" bezahlt - Kukacka will prüfen - OÖ-Haider
fürchtet Abschiebung an Länder =
Semmering (APA) - Die ÖBB-Personenverkehr AG kämpft nach einem massiven
Investitionsschub in neue Züge mit zu geringen Einnahmen. Nahverkehrsvorstand
Wilhelmine Goldmann hat daher am Montagabend am Semmering erneut eine Erhöhung
der Vergütung durch Bund und Länder verlangt. Ansonsten drohten
Leistungsrücknahmen, so Goldmann bei einer Tagung des Verbands der Öffentlichen
Wirtschaft.
Derzeit würden die Leistungen der ÖBB "gravierend unterpreisig" bezahlt.
Goldmann: "Die wirtschaftliche Situation ist dramatisch".
Grund für die prekäre Lage sind laut Vorstand schwere Investitionsversäumnisse
in den vergangenen Jahrzehnten. Das Durchschnittsalter der ÖBB-Züge liege bei 21
Jahren, verglichen mit 12,5 Jahren in der Schweiz. 610 Waggons seien
mittlerweile bereits 39 Jahre alt. Der ÖBB-Personenverkehr habe daher nun für
800 Mio. Euro neue Züge bestellt. "Was wir aber nicht haben, sind die
finanziellen Mittel", sagte Goldmann.
Der Hintergrund: Das alte Wagenmaterial sei 1992 bereits vollständig
abgeschrieben worden. Und anders als etwa in der Schweiz hätten die ÖBB bei der
Preisgestaltung auch keine "kalkulatorischen Abschreibungen" berücksichtigt.
Würden diese "kalkulatorischen Abschreibungen und Zinsen" nun nachträglich in
die Kostenrechnung einbezogen, fehlten den ÖBB 200 Mio. Euro, so Goldmann.
"Als Kaufmann muss man Preise kalkulieren und sehen, dass man sie beim Kunden
unterbringt. Wir leisten auch mehr und haben daher auch ein Anrecht, dass das
abgegolten wird. Wenn der Kunde nicht zahlt, muss man Leistungen wieder
zurücknehmen und Fahrzeuge wieder verkaufen. Sonst steht man in einigen Jahren
vor dem Konkursrichter", warnte die ÖBB-Nahverkehrs-Chefin. Auch der in einigen
Jahren angepeilte Taktfahrplan sei nur möglich, "wenn es die nötigen
Bestellergelder gibt".
Bei der Anhebung der direkten Fahrpreise für den Kunden sind die Möglichkeiten
laut Bahn-Vorstand aber eher beschränkt. Zuletzt hatten die ÖBB per
Jahreswechsel eine Anhebung der Zeitkarten-Tarife in der Ostregion um drei bis
fünf Prozent angekündigt. Derartige Preisanträge werde man auch bei den anderen
Verbünden stellen.
Anders als in der Schweiz, wo Bahntickets doppelt so teuer seien, sei man in
Österreich jedoch an niedrige Fahrpreise gewöhnt. Daher seien Tariferhöhungen
nur in "marktverträglichem Ausmaß möglich. Hauptverhandlungspartner sei daher
die öffentliche Hand. Ob und wie viel Bund oder Länder wann und in welcher Form
zusätzliches Geld in den ÖBB-Personenverkehr stecken, darüber wird laut Goldmann
derzeit heftig verhandelt.
Verkehrsstaatssekretär Helmut Kukacka (V) erklärte am Montag dazu, der Vorstand
solle zunächst konkrete Pläne und Aufsichtsratsbeschlüsse vorlegen. Dann werde
der Bund die Forderungen prüfen. Ihm zufolge fließen derzeit 1,1 Mrd. Euro an
Bundesgeldern in die Abgeltung des ÖBB-Nahverkehrsbetriebs.
Kukacka verweist außerdem auf die geplante Nahverkehrsreform. Die Mittel sollen,
wie berichtet, demnach in Zukunft von den Ländern vergeben, allerdings weiter
vom Bund zur Verfügung gestellt werden. "Wir wollen die Aufgaben und
Ausgabenverantwortung zu den Ländern überführen, weil wir glauben, dass dort
besser und effizienter entschieden werden kann als in den Zentralstellen des
Bundes", so Kukacka.
In den Ländern sieht man das allerdings wegen der sich abzeichnenden Mehrkosten
noch skeptisch. Die politischen Verhandlungen sollen im Dezember starten.
Oberösterreichs Landesverkehrsreferent, LHStv. Erich Haider, verweist auf
negative Erfahrungen der Länder bei der Verländerung der Spitäler und der
Bundesstraßen. Dabei habe der Bund die Ausgaben gedeckelt und die Mehrkosten den
Ländern aufgebrummt. Haider fürchtet jetzt auch im Öffentlichen Verkehr "eine
kräftige Unterdotierung". Die Deckelung sei hier "leistungsfeindlich und
kontraproduktiv".
Stattdessen spricht sich der oberösterreichische Verkehrslandesrat für eine
stärkere Zweckwidmung der Verkehrssteuern aus. Der Bund nehme im Verkehr
jährlich 10,2 Mrd. Euro Steuern ein. Nur 5 Milliarden davon würden derzeit in
Straße und Schiene zurückfließen. Ziel müsse eine Zweckbindung von 60 bis 80
Prozent sein, verlangt Haider. Kukacka begrüßt das, konkrete Pläne dafür gebe es
derzeit aber nicht.
(Schluss) klm/wyw/cs