Aus für die Holzherdzulage

Tarifverhandlungen bei der Bahn können auch durchaus friedlich und für alle Beteiligten positiv ausgehen – zumindest in der Schweiz. Dort ist der Job des Zugführers tatsächlich noch etwas wie ein Traumberuf. Dies kann für die Deutsche Bahn nun sogar einen Nachteil bedeuten.

ZÜRICH. Lokführer werden – ein Jungentraum. Der Streik bei der Deutschen Bahn allerdings führt zu Ernüchterung. Offenbar lohnt es sich in Deutschland nicht, den Traum vom Sessel im Führerstand einer schnittigen DB-Lokomotive umzusetzen.

Anders bei den Eidgenossen nebenan, die sowieso statistisch gesehen die intensivsten Bahnfahrer der Welt sind. Nirgendwo in Europa werden pro Person mehr Bahnkilometer zurückgelegt als in der Schweiz. Ein Streik der Lokführer würde das kleine Land dementsprechend noch schlimmer treffen, als seinen „großen Nachbarkanton“, wie hier Deutschland gerne genannt wird.
Die im Verhältnis zur deutschen Bahn nur ein Zehntel so großen Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) kennen in ihrer rund 150-jährigen Geschichte deswegen keinen Ausstand. Die Tarifpartner haben sich gerade auf eine vierjährige Friedenspflicht verständigt. Die Löhne für die Lokführer sind eh ein Traum: Umgerechnet 70 000 Euro für erfahrene Zugführer sind drin, plus Wochenendzuschlag, plus Nachtzuschlag. Auch die Kollegen von weiter hinten im Zug, die Reisezugbegleiter, gehören in der Schweiz nicht zu den armen Schluckern. Bei ihnen sind 55 000 Euro machbar, plus Zuschläge versteht sich.

Der Tarifvertrag, der im Nachbarland Gesamtarbeitsvertrag heißt, war der letzte Wurf des mittlerweile verabschiedeten Bahnchefs Benedikt Weibel, der gemeinsam mit den Gewerkschaften lange daran geknobelt hatte. Weibel war, auch das ist anders im Vergleich mit seinem deutschen Kollegen Hartmut Mehdorn, einer der beliebtesten Manager des Landes. Die Gewerkschaften hatten es nicht leicht mit so einem, zumal er im bis Ende des vergangenen Jahres geltenden Vertragswerk Zöpfe abschneiden wollte. Etwa die „Holzherdzulage“. Sie wurde jenen Eisenbahnern gewährt, die frühmorgens zum Bahnhof mussten und mittags nicht heimkamen. Da musste dann zu Hause die Frau den Herd mittags anfeuern, um den Kindern nach der Schule warmes Essen zu kochen, und nachmittags noch einmal, wenn der Alte hungrig nach Hause kam. So etwas war bis zum vergangenen Jahr schon eine Zulage wert.

Geregelt waren diese und andere Absonderlichkeiten in einem Gesamtarbeitsvertrag mit Ewigkeitscharakter aus den 50er-Jahren des vergangenen Jahrtausends. Die Abmachung hatte kein Ablaufdatum. Lediglich Lohnerhöhungen wurden im Rahmen dieses Vertrags jährlich neu ausgehandelt. Gekündigt werden konnte er nur von einer der Vertragsparteien, wenn diese ein Jahr vorher Bescheid sagte. Weibel hat das nach rund 50 Jahren einfach mal gemacht.
Dass in der Schweiz aus dem Lokführertraum dann kein Alptraum wurde – auf dieses Ergebnis sind beide Seiten heute stolz: die Mitarbeiter, die noch immer mit ordentlichen Löhnen und für das Land rekordverdächtigen 26 Urlaubstagen nach Hause gehen, und die Arbeitgeber, die immerhin eine 41-Stunden-Woche und niedrigere Zuschläge durchsetzten sowie jeden Gedanken an Streik vermeiden konnten. Profitiert hat auch die Marke SBB, deren Bahnen unverändert zu den beliebtesten Verkehrsmitteln zählen, und die auch Firmenchefs von Weltkonzernen selbstverständlich nutzen.

„Die SBB verkehren fahrplanmäßig“, stellt ein Sprecher der Bahnen mit Blick aufs Chaos im Nachbarland und nicht ohne Bedacht fest. Schließlich liefern sich die SBB sich im Güterverkehr mit der Deutschen Bahn einen erbitterten Konkurrenzkampf. Da zählt es etwas, wenn man wie der SBB-Sprecher sagen kann: „Streik? Bei uns hema des nüt.“