Keinen Handbreit gab der Chef
der Gewerkschaft
Deutscher Lokomotivführer (GDL) nach!
Keinen Handbreit gab der Chef der Gewerkschaft
Deutscher Lokomotivführer (GDL) am Freitag im noblen Hotel Frankfurter Hof nach,
um im Spitzengespräch mit Bahn-Chef Hartmut Mehdorn den heftigen Tarifkonflikt
zu beenden. Er zeigte sich einmal mehr als Nein-Sager: Stoisch beharrte der
64-jährige GDL-Vorsitzende auf den bekannten Forderungen nach einem eigenen
Spartentarifvertrag für das fahrende Bahn-Personal und auf Lohnsteigerungen bis
zu 31 Prozent. Bestätigt sieht er sich auch durch das Urteil des Mainzer
Arbeitsgerichts, das am Samstag die von der Bahn erwirkte einstweilige Verfügung
gegen GDL-Streiks aufhob. Schell ließ verbreiten, jetzt könne die Gewerkschaft
wieder zu Streiks aufrufen, um ihre Forderungen durchzusetzen.
Dass die Bahn ihrerseits aus dem Urteil herausgehört haben will, die Verfügungen
seien nur aufgehoben worden, weil sich die GDL vollständig vom Entwurf des
Spartentarifs verabschiedet habe, wird Schell nicht beeindrucken.
Ebenso wenig scheren den gebürtigen Aachener
die Kompromiss-Signale des Bahn-Chefs, der sich in einer Zwangslage befindet:
Nachdem er mit den beiden anderen Eisenbahnergewerkschaften Transnet und GDBA
letzten Montag einen Tarifabschluss unter Dach und Fach brachte, sind ihm die
Hände gebunden. Wenn er den Lokführern und Zugbegleitern mehr Geld zugesteht,
würden die anderen Abschlüsse hinfällig.
Das weiß auch Schell, und nicht nur beim Arbeitgeber Bahn, sondern auch bei den
Konkurrenzgewerkschaften fragt man sich gespannt, wie er aus dieser Lage
herauskommen will. Dort gilt der oberste Lokführer, der mal als „Einheizer“
tituliert wurde, als uneinsichtig und profilneurotisch. Und Transnet-Chef
Norbert Hansen nimmt gelegentlich das Wort „erpresserisch“ in den Mund. Doch
Schell hat damit kein Problem. In einem Zeitungsinterview stellte er vor dem
Gesprächstermin mit Mehdorn eher unbekümmert fest, irgendwann werde sich der
Bahn-Chef schon bewegen müssen. Von eigener Flexibilität ist zumindest
öffentlich nichts zu erkennen. Wie auch: Schell befindet sich nach eigener
Aussage im „Tarifkrieg“. Mit fatalen Folgen, wie Bahn-Kunden letzte und
vorletzte Woche zwei Mal feststellen mussten. Und wenn der 64-Jährige, der es
vom Heizer auf der Dampflok bis zum Oberlokführer brachte, es will, stehen bei
der Bahn nahezu alle Räder still.
Im Neinsagen in Bahn-Angelegenheiten hat Schell
eine gewisse Tradition. So gehörte er 1993 in seinem kurzen Ausflug als
CDU-Abgeordneter in den Bundestag zu den wenigen Parlamentariern, die die damals
eingeleitete Bahn-Reform von der Bundesbahn zur Bahn AG ablehnten. Doch bei der
alten Behördenbahn – und ihrem DDR-Erbe Reichsbahn – wäre für die Lokführer
nicht viel zu holen gewesen, denn sie produzierte Jahr für Jahr
Milliardendefizite. Das hat sich bei der unternehmerisch geführten Bahn
inzwischen deutlich gewandelt, auch zum Wohle der Mitarbeiter.
Auch bei der politischen, kontrovers geführten Diskussion, ob die Bahn in den
nächsten Jahren mit oder ohne Netz teilprivatisiert werden soll, fährt Schell
dem größten Arbeitgeber seiner 34 000 Mitglieder gerne in die Parade. Im
Editorial seiner Mitgliederzeitschrift macht er immer wieder mal Front gegen die
Mehdorn-Linie vom integrierten, also das Netz mitumfassenden Konzern und fordert
anders als dieser: Im Falle eines Börsenganges müsse das Netz beim Bund bleiben.
Darin unterscheidet sich der Gewerkschafter,
der nach der deutschen Wiedervereinigung Tausende Lokführer in der DDR in seine
GDL lockte und ihr damit zu überlebensfähiger Größe verhalf, von seinen beiden
großen Wettbewerbern Transnet und GDBA. Die stehen voll hinter Mehdorns
Strategie.
Dagegen zu sein ist für Schell ein bisschen zur Überlebensphilosophie geworden,
sagen seine Kritiker im Bahn-Konzern und den beiden Gewerkschaften: Erst das
Ziel, die über 140 Jahre Lokführergewerkschaft nach dem Vorbild der
Pilotenvertretung VC Cockpit zur Berufsgewerkschaft zu machen, habe der GDL noch
Zulauf und Existenzberechtigung gegeben. Doch den Spartentarifvertrag wird
Schell nicht einfahren können: Würde ihm die Bahn da nachgeben, käme das einem
Dammbruch gleich, und die Zeit der großen solidarischen Tarifabschlüsse für alle
Eisenbahner wäre vorbei.
Doch Schell bleibt hart. „Es gibt für die GDL und das Fahrpersonal kein Zurück
mehr“, sagt er vor dem Arbeitskampf. Und nicht nur die Deutsche Bahn hat er im
Visier, auch die kleinen Konkurrenten, bei denen seine Gewerkschaft bislang
maßvolle Tarifabschlüsse mitgestaltete. Da, sagt Schell, müsse man mehr
herausholen. Der Vater zweier Kinder hat sich bis zum Ruhestand im nächsten Jahr
noch viel vorgenommen.