Bahnausbau auf dem Prüfstand
Um Ertragseinbrüche zu kompensieren und den Milliardenausbau auf Schiene zu halten, bahnen sich ab 2014 Streckenstreichungen an
Wien/Alpbach - Zumindest für leidgeprüfte Fahrgäste auf der Südbahn stellt
die ÖBB Besserung in Aussicht: Zum Schulanfang in einer Woche sollen die
Weichenbauarbeiten in Mödling abgeschlossen sein und die derzeit mit mindestens
zehn Minuten in Verzug geratenen Züge sollten wieder pünktlich sein.
Insgesamt haben Bahnbenützer freilich kaum Aussicht auf Entlastung. Denn um die
durch Milliardeninvestitionen und wirtschaftskrisebedingten
Güterverkehrseinbrüche bis 2014 entstehende Ergebnislücke zu stopfen, müssen
Leistungsangebot und Bahnausbau zurückgefahren werden. Einsparen will man, wie
berichtet, gut 200 Millionen Euro.
Laut Planungspapieren, über die hochrangiger ÖBB-Manager aus allen
Tochtergesellschaften Mitte Juli diskutierten, stehen insgesamt 54
Streckenabschnitte und Ausbauprojekte des 5800 Kilometer langen ÖBB-Bahnnetzes
zur Disposition. Der Grund: Das zwischen September 2007 und Juni 2008
erarbeitete, "Zielnetz 2025+" erweist sich als unfinanzierbar, es muss
redimensioniert werden.
Heruntergefahren oder zumindest nicht weiter ausgebaut werden sollen neben der
Strecke Linz-Graz (Schleife Selzthal; 56 Mio. Euro) auch die Pottendorfer Linie
(Wampersdorf-Wiener Neustadt; 220 Mio. Euro) auf Hochgeschwindigkeit. Von den
Netzbetreibern innerhalb des ÖBB-Konzerns zur Disposition gestellt wurde auch
die Aufrüstung der Verbindungen Floridsdorf-Stockerau (auf 140 km/h um elf Mio.
Euro), der zweigleisige Ausbau zwischen Stockerau und Hollabrunn (um 340 Mio.
Euro), der viergleisige Ausbau zwischen Götzendorf und Parndorf (um 340 Mio.
Euro) und der Ausbau Wiener Neustadt - Gloggnitz. Gestrichen werden könnte auch
das zweite Gleis zwischen Herzogenburg und St. Pölten.
"Letzteres wäre ein besonderes Husarenstück" , warnt Grünen-Verkehrssprecherin
Gabriela Moser nach Durchsicht der ÖBB-Papiere. "Gerade der zugehörige
Bahnhofsumbau in Herzogenburg wurde als Konjunkturankurbelungsprojekt vorgezogen
und von Kanzler Faymann und Verkehrsministerin Bures bejubelt." Eine Chuzpe sei
auch, dass die Schleife Selzthal infrage steht, eine Strecke, auf der die
Nachfrage mittels unattraktiver Fahrzeiten gezielt gedrosselt worden sei,
argwöhnt Moser.
Problematische Verschiebung
Eine Verschiebung nicht weniger in dem 20-seitigen Papier aufgelisteten
Projekte, die bereits geplant, aber erst 2014 (also nach dem aktuellen
ÖBB-Rahmenplan) gebaut werden sollten, gilt auch bahnintern als extrem
problematisch. Die Südbahn zwischen Wien und Wiener Neustadt zum Beispiel ist
bereits jetzt überlastet, ihr droht ohne Pottendorferlinie der Kollaps.
ÖBB-Sprecher Alfred Ruhaltinger beschwichtigt: "Es ist nichts beschlossen."
Außerdem sei keines der Projekte umsetzungsreif und Wirtschaftlichkeitsprüfungen
nicht abgeschlossen.
Die Zeit drängt freilich, zwischen 16. und 22. September sollen diverse
ÖBB-Aufsichtsräte die notwendigen Abstriche beschließen. Abrücken muss die Bahn
übrigens auch von ihren Schuldenabbauplänen. ÖBB-Aufsichtsratspräsident Horst
Pöchhacker räumt im Gespräch mit dem Standard ein, dass sich der zuletzt für
2020/2023 avisierte Wendepunkt, ab dem die Bahn ihre Milliardenschulden abzahlt,
"um fünf bis sechs Jahre" nach hinten verschieben werde. Grund seien die
Absatzeinbrüche in Güter- und Personenverkehr. Pöchhacker sieht darin allerdings
"kein Drama" , an der nachhaltigen Rentabilität der Investitionen ändere sich
nichts. Gemeinsam mit Effizienzsteigerungsmaßnahmen werde die Ertragslage
kontinuierlich verbessert.
(Luise Ungerboeck, Andreas Schnauder, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.9.2009)
OTS0225 5 II 0181 SPK0012 WI Di, 01.Sep 2009