ÖBB-Krankendaten - Haberzettl: Bis 5.000 rechtswidrige Aufzeichnungen
Utl.: "Club 2": Daten verschwanden im "Kellerfach" - Aufdecker Wallraff: Einige Großkonzerne überwachen systematisch - Möchel warnt vor Produktivitätsverlust
Wien (APA) - Die jüngste Datenaffäre bei der ÖBB und zuvor beim
österreichischen Unternehmen Tigerlacke hat am Mittwochabend in der ORF-Sendung
"Club 2" für eine heftige Diskussion zwischen Experten gesorgt. "Ich gehe davon
aus, dass es zwischen 3.000 bis 5.000 eindeutig rechtswidrige Fälle gibt",
erklärte ÖBB-Konzernbetriebsratsvorsitzender Wilhelm Haberzettl. Er sei seit
zwei Monaten ein militanter Datenschützer. "Der Weg von der Ermittlung bis zur
Konstruktion ist einen Millimeter weit", so Haberzettl. Mit Sicherheit gebe es
zwischen 5.000 bis 10.000 Aufzeichnungen.
Haberzettl verwehrte sich, trotz Wissens nichts getan zu haben: "Aufgrund
unserer Recherchen verschwanden die Daten in einem Kellerfach, auf eine zweite
EDV-Ebene. Uns wurde immer gesagt, die Daten wurden vernichtet." Die Daten wären
immer dagewesen, wenn sie gebraucht wurden. Den Menschen sei nicht bewusst, dass
Menschenrechte verletzt würden. "Tun wir nicht so, dass das System ein
Einzellfall wäre." Wenn man flächendeckend Daten zentral speichere, dann gebe es
keinen großen Aufwand, um an die Datensätze heranzukommen, betonte Haberzettl.
Der deutsche Aufdeckungsjournalist Günter Wallraff wies darauf hin, dass es
"leider keine Einzelfälle sind." Es gebe Großkonzerne, die das systematisch
betrieben hätten, so Wallraff und nannte in diesem Zusammenhang die Deutsche
Telekom, Siemens und die Deutsche Bahn ("besonders exzessiv"). "Wenn man nichts
gefunden hat, dann konstruiert man etwas", sagte Wallraff, er habe solche
Überwachungsprotokolle. Er schilderte einen Fall, wo einem Mitarbeiter
Porno-Seiten ohne dessen Wissen auf den Rechner geladen wurden. Auch in
Kleinbetrieben gebe es Videoüberwachung.
"Insgesamt nimmt der Krankenstand dramatisch ab. Detektive werden gezielt
eingesetzt, um bestimmte unliebsame Mitarbeiter loszuwerden", so Wallraff. Das
gehe teilweise bis zum Psychoterror. So lasse Lidl prinzipiell keine
Betriebsräte zu. "Das Bewusstsein in Österreich ist noch gar nicht da. Wenn ein
so großer Einzelfall in den Zeitungen ist, dann ist es kein Einzelfall", sagte
Wallraff und fügte hinzu: In einem staatlichen Betrieb sei die Überwachung
"nicht so drastisch wie in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen."
"Wir leben in einer Zeit, wo die meisten mental nicht angekommen sind. Ein
Beispiel ist Facebook, wo Menschen reinstellen, was sie privat niemals zur Schau
stellen würden", betonte Technikjournalist und Datenschützer Erich Möchel.
Derartige Dinge (Anm. Facebook) könnten abgestellt werden. Viel gefährlicher
seien aber Datensätze, die nicht abstellbar seien etwa aus Handynetzen. "Es geht
darum, diese nachverfolgbar zu machen - wer, wann mit wem gesprochen habe.
Daraus kann man dann viele Fragen an so große Datennetze stellen und kriegt
unwahrscheinliche Sachen heraus", so Möchel.
Er betonte, dass Mitarbeiter, die wissen, dass sie überwacht werden, an
Produktivität verlieren. Nach Datenaffären gebe es immer ähnliche
Rechtfertigungsversuche, die die Polizei als "Schutzbehauptungen" bezeichne. So
würden unter Vorwänden Rastermaschinen aufgezogen, um nach Belieben bestimmte
Datensätze zu filtern, wirft Möchel Unternehmen vor.
"Datensammlungen sind Dynamit. Sie werden dann gefährlich, wenn sie sich
verselbstständigen. In den genannten deutschen Fällen wurden 'Konzern-Security-Abteilungen'
gegründet, die sich dann verselbstständigt haben. Sie haben etwa im Auftrag von
Vorständen Aufsichtsräte bespitzelt", schilderte Möchel.
Nicht nur Datenbanken, sondern auch Detektive werden immer öfter eingesetzt. Ein
Teil der Arbeit sei es, Krankenstände von Mitarbeiter zu kontrollieren,
bestätigte der Detektiv Bernhard Maier. "Es ist aber keine massenhafte
Überwachung. Wir befassen uns mit einzelnen Mitarbeitern, die es zu weit
treiben", so Maier. Als Beispiel nannte er unter anderem einen Fall, dass ein
Regalbetreuer neben der Arbeit - auch in den Krankenständen - ein Bauunternehmen
betrieben hat.
Für neue gesetzliche Regelungen besteht aus Sicht von Rechtsanwältin Sieglinde
Gahleitner derzeit kein Bedarf. "Die Rahmenbedingungen haben wir", sagte sie.
Gahleitner strich hervor, dass der Arbeitgeber an der betrieblichen Planung ein
legitimes Interesse habe, also wann der Mitarbeiter wieder einsetzbar sei.
Außerdem wies sie darauf hin, dass es ein zwingendes Mitbestimmungsrecht der
Belegschaft im Rahmen von Betriebsvereinbarungen gebe. Allerdings gebe es
derzeit kaum ein Bewusstsein, derartige Betriebsvereinbarungen zu schließen,
berichtete sie aus ihrer Beratungspraxis.
(Schluss) lo/re/gru
Quelle: APA0337 2009-09-24/14:04