ÖBB-Krankenakten - Haberzettl: Praktik trotz Abmachung nicht beendet
Utl.: Betriebsratsvorsitzender fühlt sich von Vorstand hintergangen Öllinger: "System Nigl" in ÖBB eingebracht
Wien (APA) - Der ÖBB-Betriebsratsvorsitzende Wilhelm Haberzettl sieht beim
Betriebsrat keine Versäumnisse in Zusammenhang mit dem Anlegen illegaler
Krankenakten bei der Bundesbahn. Er habe im Mai 2008 "alles" über die
rechtswidrigen Praktiken gewusst", sagte Haberzettl am Donnerstag zur APA.
Daraufhin sei es im Juni zu einer Konfrontation mit dem Vorstand gekommen, der
"alle Eide geleistet hat, dass nichts mehr drin ist". Erst in den vergangenen
Tagen habe er durch die Medienberichte erfahren, dass die Praktiken nicht wie
vereinbart abgestellt worden seien, sondern "einige Personalisten ihre eigene
Datenbank angelegt" haben.
Tatsächlich sei das entsprechende Feld im offiziellen Datenblatt im September
2008 gesperrt worden. In Wahrheit seien die illegalen Praktiken aber nur auf die
zweite Ebene "in den Keller" verlegt worden. Haberzettl fühlt sich daher vom
Vorstand hintergangen und sieht hier die gesamte Führung, darunter auch ÖBB-Chef
Peter Klugar, in der Pflicht.
Ursprünglich sei die Reduktion der damals sehr hohen Krankenstände bei den ÖBB
gemeinsam mit dem damaligen Personalchef Franz Nigl vereinbart worden. Der
Betriebsrat habe Präventiv- und Aufklärungsmaßnahmen für die Mitarbeiter auch
unterstützt. Zur gleichen Zeit habe aber das Management offenbar mit den
illegalen Praktiken begonnen, ärgert er sich. Der Betriebsrat habe immer darauf
gedrängt eine Betriebsvereinbarung dazu abzuschließen, jetzt sei ihm klar, warum
die Führung das abgelehnt habe.
Wie lange die Aufzeichnungen bereits liefen, als sie im Frühjahr 2008 - intern -
durch den Fall eines aidskranken Mitarbeiters bekannt wurden, sei unklar. "Die
Maske gab es noch nicht so lange", sagte Haberzettl. Er könne aber nicht
ausschließen, dass es vorher andere Formen der Aufzeichnung gab. Er rät den
Beschäftigten, jedenfalls von ihrem Recht auf Einsicht in den Personalakt
gebrauch zu machen und gegebenenfalls die Löschung illegaler Daten zu
beantragen.
Auch die Mitarbeiter reden laut Betriebsrat erst jetzt: Vor allem vor
anstehenden Beförderungen habe es massiven Druck gegeben, Auskünfte über
Abwesenheiten zu geben. Er vermutet hinter der Vorgangsweise auch einen Versuch
des Managements, kollektivvertragliches Dienstrecht zu umgehen. Etliche
Mitarbeiter hätten an Stelle einer Beförderung einen Zusatzvertrag erhalten, mit
dem sie aus dem normalen Dienstrecht herausfallen. Haberzettl schätzt, dass es
rund 2.000 solcher Fälle bei den ÖBB gibt.
Der Sozialsprecher der Grünen, Karl Öllinger kritisiert in einer Aussendung,
dass ÖBB-Vorstände und auch die Spitzen des Betriebsrates seit 2006 mit den
teilweise illegalen Praktiken befasst gewesen seien. "Das Management hat sie
umgesetzt, der Betriebsrat hat dabei zugeschaut. Alle, die es wissen wollten,
haben also davon gewusst", so Öllinger.
So sei schon im April 2006 in Medien zum ersten Mal auf illegale Haus- und
Partnerbesuche aufmerksam gemacht worden. Öllinger spricht von einem 'System
Nigl', das der ehemalige Telekom-Personalchef dann auch bei den ÖBB eingebracht
habe: "Tausende MitarbeiterInnen wurden als überflüssig erklärt, frühpensioniert
oder gar zwangspensioniert und in ausgegliederte Gesellschaften abgeschoben, wo
sie zum Nichtstun verurteilt sind."
Bei den ÖBB herrsche seit Jahren eine "Kultur der Kontrolle und der Angst",
kritisiert der Grüne Sozialsprecher. Während ganze Serien von Spitzenmanagern
der ÖBB nach kurzer Dienstzeit mit Golden Handshakes und üppigen Abfindungen
verabschiedet wurden, habe man "Mitarbeiter drangsaliert und bespitzelt". "Wenn
sich Herr Nigl jetzt vor die Kamera stellt und erklärt, durch die illegalen
Praktiken habe man den ÖBB 100 Millionen Euro erspart, kann ich nur lachen: Die
Kosten für die Frühpensionierungswellen, für die Auflösung von Dienstverträgen,
liegen weit darüber!"
(Schluss) mg/tsk
Quelle: APA0442 2009-09-17/14:36 171436 Sep 09